WANDERN MIT GESCHICHTE FRIEDENSWEG

05.05.2020 - Heute ist einer der schönsten Tage des Jahres: strahlender Sonnenschein, klare Luft, gute Fernsicht, nicht zu kalt und nicht zu warm - also genau richtig für eine Wanderung. Eben noch haben wir uns euphorisch als Glückspilze gefeiert, die wettertechnisch wieder einmal die ideale Woche für den Herbsturlaub erwischt haben. Tage zu vor hatte es nämlich so viel geschneit, dass die meisten Gipfel um uns herum noch weisse Kuppen in den stahlblauen Himmel zeichnen. Goldener Herbst im Trentino. Was kann es Schöneres geben als unbeschwert über Blumenwiesen zu wandern? Die milde Oktoberluft so tief wie möglich einzuatmen? Trentino ist gleich Gardasee. Dachte ich immer. Aber falsch gedacht! Wer statt bis nach Rovereto Sud zu fahren schon in Trento abbiegt, den erwartet Trentino für Fortgeschrittene: die Hochebene von Folgaria, Lavarone und Luserna. Wenn sie einen am Lago noch schier zertreten, hat man hier Ruhe. Doch nun stehen wir ganz ruhig vor einer Bildtafel. Eine alte, vergilbte SchwarzWeiss-Fotografie zeigt Soldaten, die sich in Schützengräben verschanzen. Jung sehen sie aus. Daneben ein Kreuz mit verwelkten Blumen und einer verwitterten Schiefertafel, auf der unzählige Namen stehen. Unsere Sohne Len (10 Jahre) und Ole (8 Jahre) lesen sie vor und blicken ratlos. Was sind das für Namen?,Waren das Soldaten? Sind sie tot? Wir erklären ihnen wahrheitsgemüss, dass sich hier oben, auf den Hochebenen von Folgaria, Lavarone und Luserna und nur wenige Kilometer von den Städten Trento und Rovereto entfernt, österreichischungarische Kaiserjäger und italienische Alpini von 1915 bis 1918 einen zermürbenden Stellungskrieg geliefert haben. 

Fast 100 Jahre nach Kriegsende wandern wir also just auf den Spuren von damals - auf dem ,"Sentiero della Pace". Dieser,"Friedensweg" wurde in der Absicht, junge Generationen zum Nachdenken über Krieg und Pazifismus anzuregen, ins Le ben gerufen. Er erstreckt sich auf 521 Kilometern Länge vom Tonalepass bis zur Marmolada und ist mit einer Friedenstaube markiert. Wir treffen zu unserem grossen Erstaunen trotz goldenem Oktober kaum eine Menschenseele. Dafür erleben wir auf unseren Wanderungen Geschichte hautnah. "La Forra del Lupo" - die Wolfsschlucht - ist wie gemacht, um spannende Geschichten aus der längst vergangenen Geschichte zu erleben. Historie, nicht in trockenen Museen oder verstaubten Büchern, sondern hautnah in der Natur. Enge Durchgänge zwischen hohen Felswänden kennzeichnen diese Wanderung und bieten immer wieder spektakuläre Ausblicke - vom hart umkämpften Pasubio-Massiv im Süden bis weit hinein in die Dolomiten im Norden.

Trotzdem: So sehr man hier auf Schritt und Tritt mit der Vergangenheit konfrontiert wird, so herrlich ist doch die Gegenwart! Unsere Jungs hüpfen gut gelaunt über Stock und Stein, entdecken Felsen mit Gesichtern und Wolken, die wie unbekannte Dinosaurier aussehen. Ausserdem ha ben sie noch kein einziges Mal gejammert, dass die Tour zu langweilig wäre. Sie schleppen alte Schubkarrengummireifen, die als stumme zeitzeugen überall herumliegen, die Hügel hoch, um sie dann unter lautem Gejohle herunterrollen zu lassen. 

Als nächstes wollen Len und Ole die unterirdischen Gänge erkunden. Uns Grossen bleibt nichts anderes übrig, als ihnen - Maulwürfen gleich - durch das dunkle Labyrinth zu folgen. Als sich unsere Augen schon fast an die Dunkelheit gewohnt ha ben, sehen wir weit in der Ferne einen vagen Schein. Schon rast unser Jiingster dem Leuchten entgegen, der Altere hinterher und ... weg sind sie! Meine Phantasie iiberschliigt sich, während ich durch die Gänge sprinte. Es wird heller und heller! Da! Zwei Grinsekopfe, die mit albernem Kichern durch ein Loch von der Decke hängen. Auch ich zwiinge mich durch die schmale bffnung nach oben. Tageslicht - endlich! Erleichtert plumpsen wir auf die sonnige Almwiese. Weicher Nachmittagsdunst lässt die Berg ketten am Horizont zu einem unendlichen Scherenschnitt verschmelzen. Laue Luft durchströmt unsere Lungen. Nach so vie! Abenteuer freut sich die Seele, in dieser weltvergessenen Bilderbuchlandschaft zur Ruhe zu kommen. Ausserdem wird es Zeit für eine Pause. Den Jungs knurrt schon der Magen. Schnell ist die Picknickdecke ausgebreitet, der Rucksack ausgepackt und das Brot aufgeschnitten. Der selbstgemachte Ricotta und die traditionellen Trentiner Köstlichkeiten, die uns die Bäuerin vom Lernbauernhof, "Soto del Croz" gestern eingepackt hat, schmecken beim Blick auf das sanfte Meer aus Tälern und Gipfeln gleich doppelt so gut. Nachdem unsere Jungs zum Nachtisch noch einen Apfel verspeist haben, springen sie auch schon wieder auf. Sie wollen noch zu Ne le, einem Kälbchen, dessen Geburt die Ricotta-Produktion kurz unterbrochen hat. Ausserdem schmieden sie bereits Pläne für den nächsten Tag. Wir hatten uns eigentlich vorgenommen, morgen noch einmal auf dem ,"Sentiero della Pace" zu wandern. Der Weg hoch zur Festung Cima Vézzana, auch Piz de Levico genannt, soli über herrliche Almwiesen fähren - und die Fernsicht vom Gipfel manchmal unendlich weit hinüber zur Brenta reichen. Die Jungs wären sicher auch beeindruckt, wenn sie von der ehemaligen Festungsanlage auf den Caldonazzo- und Levicosee hinabsehen könnten. Aber ihnen schwebt ein ganz anderes Programm vor ... Ihre Kumpels aus unserer Unterkunft waren vorgestern klettern und wie es sich für kleine Abenteurer gehört, haben Len und Ole sie ausführlich über ihre Erlebnisse befragt. Ohne Unterlass plappern sie auf uns ein und versuchen uns zu überzeugen, am folgenden Tag den Klettergarten Pròmbis zu besuchen. Der liegt nur wenige Gehminuten vom Dorfzentrum von Chiesa entfernt, ist bestens erschlossen und bietet Routen für Anfänger und Fortgeschrittene. Wie es der Zufall will, findet dort morgen ein Kletterkurs statt. Klar, dass sich die Jungs da nicht mehr zum Wandern iiberreden lassen. Aber wenn so der Familienfrieden gewahrt bleibt ... Schliesslich sind wir auf dem ,"Sentiero della Pace" unterwegs.


FRIEDLICHES TOBEN AUF DEM SENTIERO DELLA PACE
 

LAGE:
Die autonome Provinz Trentino liegt im Norden Italiens. 20 Kilometer südöistlich der Hauptstadt Trento befindet sich die Hochebene van Folgaria, Lavarone und Luserna.

TOURIST·INFO:
In der Via Roma 67 in Folgaria, Tel. 00 39/04 64/72 41 00; 
Infos über die Front und den Friedensweg: www.alpecimbra.it; allgemeine Infos Trentino: www.visittrentino.it

ANREISE:
Per Auto: über A 8 nach Kufstein, über Inntal- und Brennerautobahn nach Trento und über SS 12 und SS 350 nach Folgaria (360 km/4 h ab München).

RESTAURANTS:
Pizzeria Scoiattolo, Via Emilio Colpi 233 in Folgaria, Tel. 00 39/04 64/72 31 53;
Ristorante Maso Mittereck, Via de Gasperi 66 in Folgaria, Tel. 00 39/04 64/7 20 27

ÜBERNACHTUNG:
Relais Fior di Bosco: kleines Frühstückshotel in der Via Papa Giovanni 18 in Folgaria (www.relais-fiordi bosco.it)

AKTIVITÄTEN:  
Tour 1: Ideai für Kinder ist die Wanderung durch die Wolfsschlucht, "La Forra del Lupo" mit Abstecher zur Festung Dosse delle Somme. Mutige erkunden die unterirdischen Gange (Stirnlampen!). Ca. 6 km bzw. 10 km, 420 hm. Start in Serrada am Restaurant Cogala in der Via Pasubio 135. 
Tour 2: Besteigung der Festung Cima Vézzena. Der mühsame Aufstieg auf 1908 Meter wird mit einem Gipfelkreuzfoto und 360-Grad-Pano belohnt. Vom Parkplatz Passo Vézzena zur Festung Busa Verte und weiter in Richtung Malga Marcai. Stets den Schildern durch den Wald steil bergauf folgen. Klettern: Direkt hinter dem Dorf Chiesa bietet die Kletterwand Pròmbis leichte bis mittelschwere Routen - und Kurse. Lernbauernhof: die ,"Azienda Agricola Soto Al Cruz" auf der Alpe Cimbra.
 
 
 
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